Hans Karl Peterlini
Laudatio für Hans Haid
Anlässlich der Vorstellung des Romans "Similaun", Europäische Akademie Bozen (Eurac), 27. Februar 2008
Ich habe die Ehre zu ehren: Hans Haid. Er ist mir ein bekannter Unbekannter. Drei Personen, die’s Maul aufmachen für die Umwelt – sollte man nicht sagen: für die Welt – gibt’s in Tirol, der eine ist’s von Amtswegen, der zweite ist der Gurgiser, der dritte ist er. Den von Amtswegen lassen wir einmal beiseite, solche haben wir auch, hier südlich des Brenners, des Reschens und des Timmels. Den Gurgiser kennen wir allmählich, obwohl wir uns lange redlich bemüht haben, ihn zu ignorieren. Den Hans Haid kennen die meisten als Gerücht, es soll da doch einen wilden Mann geben, der im Ötztal haust, ab und zu auf einem der Gipfel erscheint und Worte wie Steinbrocken schleudert – der Mythenforscher eingewoben in seine Mythenwelt, in die Geschichten der guten Hirten, die mit ihrem Blick Schafe und Gemsen retten können, der Saligen und Wilden Frauen, die es ihm nicht nur wissenschaftlich angetan haben, der Gletscher, unter denen Städte begraben liegen und viele Geheimnisse. Und manche Menschen.
Um sich dem bekannten Unbekannten zu nähern, gibt es einige Wege. Man könnte mit ihm, wie jüngst für das Radioporträt in Ö1, vom Hofe Roale in Heiliggkreuz das Venter Tal einwärts wandern, die Ache entlang, die hier tost und tobt, bis sich das Tal öffnet und den Blick freigibt auf den Similaun. In dieser Gegend, wo von Schnals die Schafe herübergetrieben werden, wo sich vor 5.300 Jahren ein anderer Bergler durchkämpfte, bis er – aus welchem Grund auch immer – müde oder verletzt oder tot in den Schnee sank, hier könnte Haids Berg Athos liegen und darunter das versunkene Atlantis. Oder wir sind da, wo Gott für Moses in die Steinstafel schlug, was dem Menschen erlaubt ist und was nicht, oder wir hören, im Tosen der Ache, die Bergpredigt widerhallen. Oder den Urschrei – das ist dann bestimmt der Ungetüme vom Roalehof, der Worte schleudert statt Steinbrocken.
Man könnte es auch anders versuchen und schauen, was dieser Hans Haid geschrieben und getan hat. Fürs erstere muss man beinahe eine Bibliothek auslesen, reichhaltig, unterschiedlich, auseinanderklaffend zwischen Roman und Drama und Fachbuch, zwischen Schimpftirade und Liebesgedicht, zwischen ironischer Glosse und prophetischer Rede, zwischen ungehauenem Dialektgestein und geschliffenem Hochdeutsch. Mit „Wucht und Unwucht“ ist dieses Werk einmal gewürdigt worden. Die Wucht könnten seine Worte sein, die er schleudert, aber was ist die Unwucht: ist es die Liebe, die zwischen den Zeilen schwingt, wenn er tobt und tost, die Kraft des weichen Wassers, die den Stein höhlt? Hans Haid hat eine ungemein reiche, sanfte Sprache, wenn er von der Schönheit der Welt erzählt, von den Geheimnissen alter Steine, alter Wege, wenn er Menschen und Schafe beschreibt, wie sie sich im Schneesturm aneinanderschmiegen, vorwärtstreiben – das ist die Sprache des Verliebten, der mit jedem Atemzug ein neues Wort haucht für seine Geliebte, das mit Umwelt zu dünn beschrieben ist – denn es ist auch die Inwelt, die er liebt. - Und er hat eine Sprache des Holzhammers, des Holzfällers, wenn er fassungslos vor der Zerstörung von Um- und Inwelt steht. Dann überschlägt sich auf einer einzigen Seite dreimal das Wort brutal, versucht sich zur Brutalität zu steigern, ringt nach Atem und findet die Worte nicht außer jene der Brachialität. Das ist nicht Stilmangel, das ist Sprachlosigkeit, Fassungslosigkeit, die das Entsetzen nicht mehr beschreiben kann, nur noch benennen: als Brutalität. Als Geldgier. Als Hurerei. Als Alpenpornographie. Als Sodomie der Geldwampen.
Auch in seinen Sagen treiben es die Hirten mit den Ziegen, verfreveln sich die Menschen an sich und der Natur, die auch die ihre ist, verfangen sich in ihren Leidenschaften und Sehnsüchten, quälen sich in ihrer Einsamkeit, in ihrer Gefangenheit. Hans Haid ist kein Aquarellmaler seiner Heimat: Er kennt die Frauen, die misshandelt werden, die Kinder, die geschlagen werden, er kennt die Männer, die mit ihren Gefühlen nicht wissen wohin, er kennt Inzucht, er kennt die Stumpfheit, die Wut, den Hass, das blinde Schlagen, die sich in einer Bauernstube entladen können – denn er schreibt davon. Er kennt die Bosheit der Leut’, er ist 1938 geboren und hat später erfahren müssen, wie mancher, der sich aufplusterte oder wichtig war in seinem Tal, in seinem Land, ein Nazischwein gewesen war. Er macht sich nichts vor über die Bergwelt, dazu kennt er sie zu gut. Er ist auch kein Naturschwärmer, weiß von den Gewalten, die da wüten, alles mit sich reißen können, als Lahn, als Lawine, als alles verschluckender Schlund – die Natur um den Menschen herum und in ihm drinnen, die Um- und die Inwelt. Er kennt die Illusion, die eine Verirrung ist, diese Gewalten jemals zu zähmen, jemals beherrschen zu können. In seine Verzweiflungsprosa, in seiner Kruzisaggratürkenlyrik scheint eingelassen zu sein, was N.C. Kaser mit seinem berühmten „Rückwärts geht’s nimmer und vor dem Vorwärts graut uns“ ausgedrückt hat. In Hans Haids neuestem Roman Similaun geraten die Zeiten und Ereignisse nicht durch-, wohl aber ineinander, werden Mythen wahr auf eine – ja, wie anders sagen – brutale Weise, werden Strafen, die für eine harmlose Unzucht auf der Alm verhängt werden, nun neu erteilt für eine nicht mehr harmlose Schändung der Mutter, der Erde. Da ist dann die Rute, die in den Ziegenbock getrieben wird, eine Baggerschaufel, die der Mutter Erde, die dem Vater Gletscher, den Leib aufreißt. Was wurde in dieser Welt nicht alles schon bestraft, ein schiefer Blick, ein zu froher Schritt, eine Sehnsucht, der Traum von einer anderen Welt, einfach nur das Anderssein – hingerichtet als Hexen oder Malefizuben, auf den Scheiterhaufen gezerrt, vom Mob verfolgt. Wie oft waren die Bekehrungsversuche am Menschen die größere Sünde als jene, die sie austreiben sollten? Und was wird in dieser Welt nicht alles geduldet … gefördert, subventioniert? Macht und Ohnmacht – so könnte man das Gegensatzpaar Wucht und Unwucht auch lesen: gegen all diese Macht, mit der Menschen ihre Um- und Inwelt kaputt machen, gibt es nur das geschleuderte Wort der Ohnmacht, die den Schafen ins Ohrläppchen geflüsterte Liebeserklärung der Unwucht.
Und man könnte, diesem unbekannten Bekannten, noch auf eine Weise näher kommen: indem wir seine Wege abschreiten und sein Tun. Das sind weite Wege, wenn sie auch immer wieder zurück an seinen Geburtsort Längenfeld im Ötztal, zurück an seinen Roalehof führen. Er ist ein Mann (irgendwie ein unpassendes Wort, denn es unterdrückt das Unwuchtige an ihm), er ist ein Mensch, der nicht nur Worte geschleudert und geflüstert hat, sondern der Taten gesetzt hat. Zwischen dem Rückwärts geht’s immer und vor dem Vorwärts graut uns, gibt es Wege dazwischen: einige haben wir gezeigt. Mythenforscher, haben wir gesagt: der Versuch zu verstehen, zu erklären, was da als große Erzählungen nachschwingt aus Tausenden von Jahren und von Menschenwegen über diese Berge. Mythen, sagt Freud, sind Schiefheilungen, Versuche, mit dem Unerträglichen irgendwie ins Reine zu kommen – der Versuch, sie zu erklären, ist Versuch, etwas zu klären – in der Vorsilbe er steckt das alte Ur- etwas Klären, was immer schon da war, etwas aus der Urzeit. Der zweite Zwischenweg ist das Erzählen: das Er-zählen ist auch ein Ur-zählen, es lässt besser leben mit dem was war und mit dem was ist. Das Erzählen in der Ursprache, im Dialekt ist dabei mehr als eine Nebenwirkung des Haidschen Tuns – es gehört zusammen, der Respekt vor der Landschaft und den Menschen, vor ihren inneren Zusammenhängen, die sich ausdrücken in der Sprache. Und in dieser Sprache erzählt er das Unsagbare, in einer nicht endenden Litanei, die Geduld und Ungeduld zugleich ist – Ungeduld, weil sie auffährt gegen den Irrsinn, Geduld, weil sie nicht müde wird sich zu wiederholen: hörts auf, bitte hörts auf.
Erklären, Erzählen – Erlauben, möchte ich anfügen. Wenn wir das Er auch hier mit Ur vertauschen, dann finden wir den Urlaub, der ursprünglich eine Erlaubnis war: Erlaubnis, sich diesen Bergen, diesen Gletschern zu nähern. Um diese Erlaubnis müht er sich: Es ist kein Fingerschnippen, kein Schlagen des magischen Stöckleins auf den Stein, auf dass Wasser herausspringe: es ist ein Mühen, mit dem Berg zu leben, mit der Natur, mit der Um- und Inwelt, auf dass man mit ihr Frieden finde, um Erlaubnis, um Urlaub zu bitten. Die Bildstöckeln auf dem Haidschen Wege sind, so wie seine Bücher nicht mehr aufzuzählen, sie gehen vom Kleinen (Mitwirkung am Aufbau des Ötztaler Heimatvereins und des Freilichtmuseums oder am Kulturgasthaus Bierstindl in Innsbruck) zum Größeren, so Mit- oder Gründung zahlreicher Initiativen für eine Aussöhnung von Mensch und Welt, von Vergangenheit und Zukunft: das internationale Dialektinstitut, die Vereinigung Arge Region Kultur, Pro Vita Alpina International, das Instituts für Volkskultur und Kulturentwicklung, Leader- und Interregprojekte für sinnvolle Regionalentwicklung, damit nicht auch noch diese zur Schändung beitragen, Mitbeteiligung an der Schaffung des Naturparkes Ötztal, Herausgeber der Schriftenreihe Ötz-Tal-Archiv. Kultur und Natur in einem Einklang, in einer Annäherung begriffen, die Respekt hat, die um Erlaubnis fragt und dann auch Urlaub gewährt.
Ein letztes Er, das ein Ur ist – das Erkennen der Zusammenhänge. Erkennen ist in der Bibel das Wort für Liebe, geistige und sinnliche Liebe, ein Urkennen: was man erklärend, erzählend, erlaubend und erkennend gestaltet, kann nicht schlimm sein, nur da, wo der Mensch auf Erklärungen verzichtet, Erzählungen in den Wind schlägt, blind ist für das Erkennen, richtet er Zerstörung an. Ist der Urlaub nicht Erlaubnis sondern Gewalttat.
Hans Haid ist viel geächtet, angefeindet, manchmal auch geehrt worden – dann aber ordentlich: Peter Rosegger-Preis, Großer Binding-Preis für Natur- und Umweltschutz der Binding Stiftung, der Grüne Oscar des bayrischen Fernsehens, schließlich die Professorenwürde durch Bundespräsidenten Heinz Fischer. Ohne Orden, ohne Medaille steh ich da, der die Ehre hat zu Ehren Hans Haid zum 70. So bleibt mir ein einziges Wort, das ich ihm umhängen möchte. Er hat es oft gallig, zynisch, zürnend gegen die Zerstörer und Vernichter und Umweltverbrecher gerichtet – als galtsgött oder vrgaltsgött im Himml au’hn – ich verwends in der ehrlichen Form: Vergeltsgott, hier auf Erden.